Albanien
Warum Albanien?
„Was, nach Albanien? Das ist ja mal interessant. Ist es dort nicht gefährlich?“ Die Reaktionen auf unsere Urlaubspläne waren eigentlich immer ähnlich. Gleich vorneweg: Nein, ist es nicht. Es sei denn man fährt einen Mietwagen und hat schwache Nerven im Strassenverkehr..
Die Liste der Vorurteile ist lang. Vielleicht weil wir so wenig über dieses Land wissen. Weil Albanien 40 Jahre lang in totaler Isolation verbracht hat und Informationen nur spärlich wenn überhaupt nach außen gedrungen sind. Weil die albanische Gesellschaft total gespalten ist: Zwischen extremem Reichtum und extremer Armut. Zwischen Tradition und Moderne, zwischen Kommunismus und Kapitalismus.
Albanien ist keine Postkartenschönheit. Dafür gibt es zu viel sichtbare Armut, zu viel Müll und Dreck und ungelöste Probleme. Es ist ein Land voller Kontraste, das sich nach türkischer Herrschaft, nach der Knute der Großgrundbesitzer oder auch der Paranoia eines kommunistischen Diktators immer wieder frei gestrampelt hat. Ein faszinierendes Land, noch unberührt vom Massentourismus.
Inhaltsverzeichnis
Die Anreise
Freitag,19. Mai Am Grenzposten Hani i Hoti stehen lange LKW-Schlangen. Sechs Stunden hat die Fahrt vom kroatischen Šibenik bis zur albanischen Grenze gedauert. Acht(!) Passkontrollen mit unterschiedlich gelaunten Grenzbeamten wecken nostalgische Gefühle.
Die SH1 ist die Nord-Süd-Achse Albaniens und führt zunächst am Ostufer des Skutari See entlang in Richtung Shkodër. Das Abendlicht spiegelt sich im See und das Land wirkt allen Vorurteilen zum Trotz aufgeräumt und friedlich.
Shkodër
Es wird langsam dunkel, und je mehr wir uns dem Stadtzentrum nähern, umso hektischer und chaotischer wird der Verkehr: massenhaft Fußgänger, Fahrradfahrer, die typischen zweirädrigen Pferdegespanne, alte und neue Autos (meistens Mercedes-Benz) und vor allem: keine Verkehrsregeln! Glücklicherweise hat das Hotel Colosseo am Rande der Fußgängerzone noch ein Zimmer frei, der Portier spricht perfekt deutsch.
Um die Ecke, in der Rruga At Gjergj Fishta bietet Pasta e Vino, ein kleines italienisches Restaurant feine Küche mit wunderbaren frischen Zutaten… [laut Google hat das Pasta e Vino leider schon wieder geschlossen, aktuelle Infos sind willkommen!]
Auf der anderen Straßenseite ragen die Minarette der Moschee in den Abendhimmel. Albanien hat sich 1967 als weltweit erstes Land zum religionsfreien Staat erklärt. Heute leben Christen, Moslems und Orthodoxe friedlich zusammen. Und das obwohl man ungeachtet der Religionszugehörigkeit jeden Morgen bei Sonnenaufgang vom Muezzin Muezzin geweckt wird. In unserem Fall um 4.15 Uhr…
Zogaj und Velipojë
Samstag, 20.Mai. Am späten Vormittag fahren wir am Südufer des Sees entlang nach Zogaj nahe der montenegrinischen Grenze. Mehrere Stellen bieten sich zum Schwimmen an, doch überall liegt Müll herum, die Abwässer fließen scheinbar ungeklärt in den See. Also weiter an die Adria, zum Badestrand bei Velipojë…
Der Strand bei Velipojë ist ebenfalls eine Enttäuschung: obwohl kilometerlang, wirkt er nicht wirklich einladend. Das Bild oben zeigt den schönen Teil, im Hintergrund lagert Müll vor Bauruinen…
Zurück in Shkodër. Wer sich für Fotografie interessiert, sollte sich unbedingt das Marubi National Museum of Photography in der Rruga Kolë Idromeno anschauen. Wunderbare Fotos der Fotografen-Dynastie Marubi. Mit Pietro, einem italienischen Einwanderer begann bereits im 19. Jht die Geschichte der albanischen Fotokunst.
21.Mai, Sonntag Morgen. Das Frühstücksbüffet ist üppig und reicht auch noch für einen albanischen Polizisten, der schweigsam und allein an einem Tisch in der Ecke sitzt. Andrea notiert im Reisetagebuch: „Warum und zu welchen Konditionen frühstückt die Polizei am Hotelbüffet?“ Auch wir sind nicht frei von Vorurteilen…
Nordalbanien
Unser heutiges Ziel ist Theth in den nordalbanischen Alpen. Dort soll es noch einen intakten Kulla, einen Blutturm geben – Relikt aus Zeiten der Blutrache, als sich junge Männer für kurze Zeit vor den Rächern schützen konnten.
Die Nebenstraßen sind in einem derart schlechten Zustand, dass Abkürzungen und Alternativrouten überhaupt keinen Sinn machen. Bis zur Brücke Ura e Mesit (s. das Beitragsbild ganz oben) reicht eine halbwegs befestigte Straße, ein Versuch uns auf Nebenstrecken zur SH21 nach Theth durchzuschlagen kostet weit mehr als eine Stunde und endet im Nirwana.
Hinter Bogë ist die Straße zwar neu asphaltiert, leider endet auch sie ungefähr zwölf km vor Theth, mitten auf der Passhöhe und uns bleibt nichts anderes übrig als umzukehren. Der restlich Weg nach Theth ist nur mit Allrad oder Motorrad befahrbar. Oder mit Fahrzeugen bei denen Zustand und Aussehen nach Ankunft egal ist..
Tipp: Entweder sich in Bogë abholen lassen oder gleich mit einem Minibus von Shkodër bis Theth fahren. Falls ihr aber mit einem Mietwagen reisen wollt, dann unbedingt einen Geländewagen mieten und viel Zeit für die Nebenstrecken einplanen.
Zurück in der Ebene von Shkodër. Nach der kühlen Bergluft tut die Sonne wieder gut. Wir fahren auf der SH1 weiter Richtung Süden nach Tirana.
Tirana
Tirana wirkt anders als Shkodër sauber und aufgeräumt, mit ein Verdienst von Edi Rama, dem ehemaligen Bürgermeister und World Mayor 2004. Sein Projekt Clean&Green zeigt sichtbare Spuren, Müllentsorgung und Begrünung funktionieren in Tirana deutlich besser als in anderen albanischen Städten.
Das Green House in der Nähe des ehemaligen Regierungsviertels ist ein Tipp unseres Reiseführers, relativ zentral gelegen, es hat gute Zimmer zu annehmbaren Preisen. Statt eigener Parkplätze laufen den ganzen Tag meist ältere Männer die Straße entlang und parken Wasserflaschen in frei werdenden Lücken. Diese Parklücken werden dann von den Gästen der jeweiligen Hotels oder Gästehäuser genutzt. ABM auf albanisch… Das Bild daneben verursacht auch heute noch Schnappatmung bei Kommunisten: Der Klassenfeind mitten in Tirana!
Das ehemalige Enver Hoxha Museum ist dagegen nur noch eine Ruine. Für die albanische Jugend ist es Volkssport auf das im Volksmund „Pyramide“ genannte Bauwerk zu klettern. Ich probiere es auch…
Für die albanische Bevölkerung war der Zugang zum Regierungsviertel Biloku unter den Kommunisten streng verboten. Enver Hoxha hat hier hinter dicken Mauern und schwer bewacht residiert.
Von Tirana nach Kukës
Der Plan: von Tirana nach Fierze am Koman-Stausee, Autofähre um 13 Uhr bis Koman und weiter von Koman über Shkodër nach Ulcinj in Montenegro. Ca. 230km sind es bis Fierze, vier Stunden Fahrtzeit eingerechnet. Kurz vor Kukës beginnt der Plan zu bröckeln, noch 100 km bis Fierze, nur Nebenstraßen und anderthalb Stunden übrig. No chance! Also übernachten wir in Kukës im Hotel Amerika und bekommen vom Hotelchef eines der beiden VIP-Zimmer, mit Herzchen auf der Bettdecke und Safe als Nachttisch, im Bad demonstriert der Whirlpool ein wenig Upperclass. Am nächsten Morgen starten wir um 9.30 Uhr, dreieinhalb Stunden für 100 km, und was soll ich sagen: es hat wieder nicht gereicht – auf Nebenstraßen in Albanien sind ein Schnitt von 40 Stundenkilometer das höchste der Gefühle! Mit Mietwagen sind’s dann noch 10 km/h weniger…
Positiv: Die Übernachtung lässt uns Zeit für einen Ausflug in den hohen Norden, an die Grenze zum Kosovo. Der Reiseführer hat uns angefixt mit dem Örtchen Ledhaj und seinem Blutturm, also machen wir uns nachmittags auf ins albanische Nirgendwo… Großartig: die Landschaft im Norden Albaniens, die Berge, das Essen, die Einladung einer albanischen Familie und: wir haben zum Schluß unseren Blutturm gefunden!
Der Kulla von Ledhaj
Zwei Fremde im Dorf erregen noch immer viel Aufmerksamkeit, und so bleibt auch unsere Anwesenheit nicht lange unbemerkt. Ein einheimisches Ehepaar nimmt uns mit zu sich nachhause und wir machen Bekanntschaft mit der berühmten albanischen Gastfreundschaft. Nach und nach trudelt die Nachbarschaft ein, es entwickelt sich ein lebhaftes Gespräch über alle möglichen Themen, von der medizinischen Versorgung in Albanien über die Beteiligung Deutschlands im zweiten Weltkrieg bis hin zur kommunistischen Diktatur und Volkes Zorn auf Enver Hoxha. Die Tatsache dass wir aus dem Süden Deutschlands stammen wo Mercedes-Benz Autos gefertigt werden verschafft uns unverdiente Hochachtung: German Cars Number One!
Inzwischen hat es zu regnen begonnen, wir fragen ganz vorsichtig nach Kulla und Blutrache, und so macht sich eine kleine Prozession auf den Weg zum ehemaligen Blutturm. Der gesprächige Heimkehrer aus Amerika lässt es sich nicht nehmen und erklärt ausführlich die Funktion der inzwischen zugemauerten Schießscharten sowie die Umbauten, die gemacht worden sind. Völlig durchnässt kehren wir zurück und verabschieden uns bald darauf, nicht ohne noch reichlich mit Gastgeschenken und guten Wünschen versorgt worden zu sein. Zum Schluss dreht die Stimmung ein wenig. Mutter und Tochter möchten zum zweiten Mal nach Deutschland einreisen, nachdem ihre erste Aufenthaltsgenehmigung abgelaufen ist brauchen sie eine Art von Bürgen. Die Einladung war also doch nicht ganz selbstlos, trotzdem versprechen wir bei der Behörde nachzuhaken, es bleibt ein zwiespältiges Gefühl zurück…
Seither sind einige Mails hin und her gegangen, und inzwischen ist klar dass eine neuerliche Aufenthaltsgenehmigung für Deutschland in Zeiten von Flüchtlingskrise und Wahlkampf auch mit Bürgen nur sehr schwer zu bekommen ist.
Letzter Tag in Albanien
Nach der Pleite mit der Autofähre verlassen wir die nördliche Grenzregion und nehmen die SH5-Route über Pukë und Fushë-Arrëzi Richtung Shkodër. Noch ein kleiner Abstecher zum Koman-Stausee…
noch einmal an Shkodër vorbei, wo Buna und Drin zusammenfließen…
… und dann überqueren wir bei Muriqan die Grenze nach Montenegro und erleben keine zwanzig km von Albanien entfernt einen touristischen Kulturschock.
Links und Literatur
Ismael Kadarë: Der zerrissene April
Anila Willms: Albanisches Öl
Fotoausstellung: Dynasty Marubi
Mannfrauen – Schwurjungfrauen: Sworn virgins
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